Qualifizierung zur Wahrnehmung ehrenamtlicher Tätigkeiten – und der Anspruch auf Bildungszeit

Das Bildungszeitgesetz Baden-Württemberg verpflichtet den Arbeitgeber, den anspruchsberechtigten Arbeitnehmer auf dessen spätestens acht Wochen vor Beginn einer Bildungsmaßnahme schriftlich zu stellenden Antrag von der Arbeitspflicht freizustellen. Der Anspruch auf Bildungszeit ist damit ein gesetzlich begründeter Freistellungsanspruch. 

In dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall hatte eine technische Angestellte geklagt, der von ihrer Arbeitgeberin Bildungszeit  für die Teilnahme an der Veranstaltung „Grundlehrgang Lizenzausbildung Übungsleiter C, ‚Sport mit Älteren‘“ des Württembergischen Landessportbunds eV verweigert worden war. Bei dem Landessportbund handelt es sich um einen anerkannten Träger iSv. § 9 Bildungszeitgesetz Baden-Württemberg in der bis zum 29.02.2020 gültigen Fassung (BzG BW). Der Antrag der Arbeitnehmerin bezog sich auf das erste Modul einer nach dem Ausbildungsplan auf drei Jahre angelegten Veranstaltung. Der Erwerb der Trainerlizenz ist erst nach Abschluss des gesamten Lehrgangs möglich. Die Arbeitnehmerin nahm an dem beantragten Lehrgang vom 23. bis zum 27.04.2018 teil. Die Arbeitgeberin wertete dies als unbezahlte Freistellung. Unter dem 19.07.2018 erstellte sie für den Monat April 2018 eine Korrekturabrechnung über die für den Zeitraum der Bildungszeit aus ihrer Sicht zu Unrecht gezahlte Vergütung in Höhe von 761, 64 € brutto. Die sich daraus ergebende Nettogehaltszahlung in Höhe von 477, 09 €verrechnete sie mit dem für Juli 2018 gezahlten Arbeitsentgelt. 

Das Arbeitsgericht hat der Zahlungsklage der Arbeitnehmerin stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat auf die Berufung der Arbeitgeberin das erstinstanzliche Urteil hinsichtlich des Zinsbeginns abgeändert und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen[1]. Auf die Revision der Arbeitgeberin hat nun das Bundesarbeitsgericht das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen:

Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, die Bewilligung der beantragten Bildungszeit durch die Arbeitgeberin gelte nicht bereits deshalb nach § 7 Abs. 4 Satz 3 BzG BW als erteilt, weil in Ermangelung eines gegenteiligen Vorbringens der Arbeitnehmerin davon auszugehen sei, dass das Ablehnungsschreiben der Arbeitgeberin vom 26.01.2018 die nach § 7 Abs. 4 Satz 2 BzG BW erforderliche Begründung aufgewiesen habe. Dieser Würdigung liegt eine unzutreffende Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer form- und fristgemäßen Ablehnung zugrunde. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts trägt jene nicht die Arbeitnehmerin, sondern die Arbeitgeberin.

§ 1 Abs. 1 Satz 2 BzG BW verpflichtet den Arbeitgeber, den anspruchsberechtigten Arbeitnehmer auf dessen Antrag, der spätestens acht Wochen vor Beginn der Bildungsmaßnahme schriftlich zu stellen ist (§ 7 Abs. 1 BzG BW), von der Arbeitspflicht freizustellen. Der Anspruch auf Bildungszeit ist damit ein gesetzlich begründeter Freistellungsanspruch. Erfüllt der Arbeitgeber diesen Anspruch, ist er nach § 8 Abs. 1 BzG BW zur Entgeltfortzahlung verpflichtet[2]. Ohne Bewilligung des Antrags durch den Arbeitgeber besteht grundsätzlich kein Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers. Die Bewilligung wird gemäß § 7 Abs. 4 Satz 3 BzG BW fingiert, wenn der Arbeitgeber den Antrag nicht form- und fristgerecht ablehnt. Die Ablehnung muss dem Arbeitnehmer spätestens vier Wochen vor Beginn der Bildungsveranstaltung schriftlich zugehen und bedarf einer schriftlichen Darlegung der Gründe (vgl. § 7 Abs. 4 Satz 1 und 2 BzG BW).

Der Arbeitgeber trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er den Antrag auf Bewilligung von Bildungszeit form- und fristgerecht abgelehnt hat. Zwar ist der Eintritt der Bewilligungsfiktion Tatbestandsvoraussetzung für den Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung für den Zeitraum der Teilnahme an der Bildungsveranstaltung. Gleichwohl kommt vorliegend der allgemeine Grundsatz, nach dem derjenige, der ein Recht für sich in Anspruch nimmt, die Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen trägt, nicht zur Anwendung. Denn der Arbeitgeber kann sich in einem gerichtlichen Verfahren nur auf solche Ablehnungsgründe berufen, die er in einem form- und fristgerechten Schreiben iSd. § 7 Abs. 4 Satz 1 und 2 BzG BW genannt hat. Mit dem Begründungserfordernis bezweckt das Gesetz, dass der Arbeitnehmer eine tatsachenbasierte Beurteilungsgrundlage erhält, auf der er die Erfolgsaussichten einer Klage auf Bewilligung der Bildungszeit überprüfen kann. Erst durch die Darlegung der Ablehnungsgründe im Ablehnungsschreiben kann er beurteilen, ob die Ablehnung sachlich begründet ist. Die damit verknüpfte Bewilligungsfiktion soll den Anspruch des Arbeitnehmers auf Bildungszeit unterstreichen[3]. Dieses Regelungsziel lässt sich nur erreichen, wenn der Arbeitgeber im späteren Prozess die von ihm begehrte Klageabweisung ausschließlich auf solche Gründe stützen kann, die er dem Arbeitnehmer zuvor nach § 7 Abs. 4 Satz 1 und 2 BzG BW mitgeteilt hat. Aus diesem Grund ist der Arbeitgeber im gerichtlichen Verfahren mit anderen als den im Ablehnungsschreiben genannten Gründen präkludiert (vgl. zu § 15 Abs. 7 Satz 4 BEEG aF BAG 24.09.2019 – 9 AZR 435/18, Rn. 22; 11.12.2018 – 9 AZR 298/18, Rn. 31 ff. mwN, BAGE 164, 307). Dementsprechend hat der Arbeitgeber, der – wie vorliegend – dem geltend gemachten Anspruch auf Bildungszeit bzw. auf die für den Zeitraum der Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme fortzuzahlende Vergütung sachliche Gründe für die Ablehnung im Prozess entgegenhalten will, von sich aus den Inhalt des Ablehnungsschreibens vorzutragen, um sich (nur) auf die dort aufgeführten Gründe berufen zu dürfen.

Rechtsfehlerhaft ist schließlich die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Parteien hätten eine Vereinbarung getroffen, der zufolge die Arbeitnehmerin zunächst für die Teilnahme an dem Lehrgang freigestellt werde und eine etwaige Vergütungspflicht der Arbeitgeberin für die Lehrgangsdauer im Nachgang gerichtlich festgestellt werden könne. Die getroffenen Feststellungen tragen diese Annahme nicht.

Vertragliche Vereinbarungen kommen durch auf den Vertragsschluss gerichtete, einander entsprechende Willenserklärungen zustande, in dem das Angebot („der Antrag“) der einen Vertragspartei nach §§ 145 ff. BGB von der anderen Vertragspartei angenommen wird. Eine Willenserklärung ist eine Äußerung, die darauf gerichtet ist, einen rechtsgeschäftlichen Erfolg herbeizuführen. Sie kann nicht nur durch eine ausdrückliche Erklärung, sondern auch durch schlüssiges Verhalten abgegeben werden. Dazu muss die Erklärung – aus der Sicht des Adressaten – mit dem Willen zur rechtlichen Bindung abgegeben worden sein (Realofferte und deren konkludente Annahme)[4].

Ob eine Äußerung oder ein Verhalten als Willenserklärung zu verstehen ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. Nach §§ 133, 157 BGB sind Willenserklärungen und Verträge so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten, wobei vom Wortlaut auszugehen ist. Auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände sind einzubeziehen, um den wirklichen Willen der Parteien zu ermitteln, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Vor allem sind die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Im Zweifel ist der Auslegung der Vorzug zu geben, die zu einem vernünftigen, widerspruchsfreien und den Interessen beider Vertragspartner gerecht werdenden Ergebnis führt. Haben alle Beteiligten eine Erklärung übereinstimmend in demselben Sinn verstanden, geht der wirkliche Wille dem Wortlaut des Vertrags und jeder anderen Interpretation vor. Er setzt sich selbst gegenüber einem völlig eindeutigen Vertragswortlaut durch. Diese Grundsätze sind auch anzuwenden bei der Frage, ob ein bestimmtes willentliches Verhalten eine Willenserklärung darstellt[5].

Die revisionsrechtliche Prüfungsdichte für eine vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung hängt davon ab, ob eine individuelle Willenserklärung oder eine typische Erklärung gegeben ist. Die Auslegung individueller Willenserklärungen kann das Revisionsgericht nur darauf überprüfen, ob das Berufungsgericht Auslegungsregeln verletzt, gegen Gesetze und Erfahrungssätze verstoßen oder wesentliche Tatsachen unberücksichtigt gelassen hat. Die Auslegung typischer Erklärungen unterliegt dagegen einer unbeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle[6].

Die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, die Parteien hätten vereinbart, dass die Arbeitnehmerin zunächst unbezahlt freigestellt werde und die Arbeitgeberin das Arbeitsentgelt nachentrichten werde, wenn gerichtlich festgestellt werde, dass die Arbeitnehmerin einen Anspruch auf Bildungszeit gehabt habe, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung selbst bei Anlegung eines eingeschränkten Prüfungsmaßstabs nicht stand.

Zwar ist eine Vereinbarung dieses Inhalts rechtlich wirksam. Sie ermöglicht es den Arbeitsvertragsparteien, den Streit über die Qualität einer Bildungsveranstaltung und die Anspruchsberechtigung nachträglich gerichtlich auszutragen[7]. Der Arbeitgeber ist jedoch zum Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung nicht verpflichtet. Er kann – auf der Grundlage seines Rechtsstandpunkts – den Antrag des Arbeitnehmers auf Bildungszeit ablehnen und ihm anbieten, für die Teilnahme an der Bildungsveranstaltung unbezahlten Sonderurlaub zu nehmen, ohne dies unter den Vorbehalt zu stellen, der Arbeitnehmer könne den entsprechenden Zahlungsanspruch nachträglich gerichtlich geltend machen. Der Arbeitnehmer müsste dann entscheiden, ob er dieses Angebot annimmt oder sein Bildungszeitverlangen – ggf. im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes – gerichtlich durchsetzt. Der vom Landesarbeitsgericht unterstellte Erfahrungssatz, von einer entsprechenden Vereinbarung sei auszugehen, wenn sich der Arbeitgeber nicht auf ein unentschuldigtes Fehlen während der Teilnahme an dem Lehrgang berufe und sich der Streit der Parteien von Beginn an auf die Frage beschränkt habe, ob der Arbeitnehmer unbezahlt freigestellt werde oder einen Anspruch auf bezahlte Freistellung nach dem BzG BW habe, existiert daher nicht. Vielmehr bedarf es konkreter, tatsachenbasierter Anhaltspunkte für die Annahme, der Arbeitgeber biete dem Arbeitnehmer unbezahlten Sonderurlaub und die spätere Vergütung der Freizeit für den Fall des rechtskräftigen Obsiegens des Arbeitnehmers in einem nachgelagerten Prozess an.

Daran fehlt es vorliegend. Weder nach dem Vorbringen der Parteien noch nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts haben die Parteien ausdrücklich eine entsprechende Vereinbarung getroffen. Selbst die Arbeitnehmerin hat sich auf das Vorliegen einer solchen Vereinbarung nicht berufen. Anhaltspunkte für den Abschluss einer Vereinbarung durch übereinstimmendes schlüssiges Verhalten[8] sind ebenfalls nicht ersichtlich. Das Landesarbeitsgericht hat bei seiner Würdigung keine konkreten, auf Tatsachen beruhenden Umstände genannt, die Rückschlüsse auf das Zustandekommen der von ihm angenommenen Vereinbarung zulassen. Die im Tatbestand des Berufungsurteils getroffenen Feststellungen sprechen eher gegen das Vorliegen eines entsprechenden Rechtsbindungswillens der Arbeitgeberin. Danach hat die Arbeitgeberin den Zeitraum vom 23. bis zum 27.04.2018 als unbezahlte Fehlzeit gewertet. Ein – irgendwie gearteter – Hinweis, die Arbeitnehmerin dürfe die Bildungsmaßnahme besuchen und etwaige Vergütungsansprüche nachträglich geltend machen, wird nicht erwähnt.

Diese Rechtsfehler führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung. Das Bundesarbeitsgericht ist an einer abschließenden Entscheidung gehindert. Der Anspruch auf rechtliches Gehör und auf Gewährleistung eines fairen Verfahrens[9] gebieten es, den Parteien im fortgesetzten Berufungsverfahren Gelegenheit zu ergänzendem Sachvortrag und ggf. zu sachdienlicher Antragstellung zu geben.

Die Zurückverweisung ist nicht entbehrlich, weil sich die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 561 ZPO). Der Klage ist nicht, zumindest teilweise – stattzugeben, weil die Arbeitgeberin nicht dargelegt hat, die Aufrechnungsvoraussetzungen des § 387 BGB und insbesondere die Pfändungsbeschränkungen des § 394 BGB berücksichtigt zu haben.

Grundsätzlich kann der Arbeitgeber nur gegen eine Nettoentgeltforderung des Arbeitnehmers aufrechnen. Erklärt er die Aufrechnung gegen eine Bruttoforderung, kann es an der Gegenseitigkeit der Forderungen (§ 387 BGB) fehlen. Der Arbeitnehmer ist zwar Gläubiger der Bruttoentgeltforderung, jedoch richtet sie sich hinsichtlich der auf die Gesamtsozialversicherungsbeiträge und die Steuer entfallenden Teile auf Zahlung an das Finanzamt und die Sozialversicherungsträger[10]. Insoweit kommt lediglich eine Aufrechnung gegen die jeweilige Nettoentgeltforderung in Betracht[11]. Diesen Nettoteil des Arbeitseinkommens für den maßgeblichen Abrechnungsmonat hat das Landesarbeitsgericht festzustellen.

§ 394 Satz 1 BGB schließt eine Aufrechnung gegen eine Forderung aus, soweit diese nicht der Pfändung unterworfen ist. Bei Arbeitseinkommen bestimmt sich der pfändbare Teil gemäß § 850 Abs. 1 ZPO nach Maßgabe der §§ 850a bis 850i ZPO. Zur Sicherung des Existenzminimums des Arbeitnehmers und seiner unterhaltsberechtigten Familienangehörigen regelt § 850c Abs. 1 ZPO einen unpfändbaren Grundbetrag. Dieser ist entsprechend den Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers gestaffelt und nach oben begrenzt. Für den Teil des Arbeitseinkommens, der diesen Grundbetrag übersteigt, gelten die weiteren Pfändungsbeschränkungen des § 850c Abs. 2 ZPO[12].

Die gesetzlichen Pfändungsbeschränkungen sind auch ohne eine Rüge des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Rechnet der Arbeitgeber gegen Arbeitseinkommen auf, obliegt es ihm vorzutragen, dass die Aufrechnung unter Beachtung der Pfändungsschutzvorschriften erfolgt. Denn die Befugnis des Arbeitgebers, gegen den Entgeltanspruch des Arbeitnehmers aufzurechnen, ist integraler Teil des Erfüllungseinwands, den der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Arbeitgeber dem Zahlungsanspruch des Arbeitnehmers entgegenhalten kann[13].

Da in den Tatsacheninstanzen weder der Streitgegenstand bestimmt noch die Voraussetzungen der Aufrechnung erörtert wurden, ist der Arbeitgeberin Gelegenheit zu geben, die Aufrechnungsvoraussetzungen, insbesondere das pfändbare Arbeitseinkommen der Arbeitnehmerin, für den in Rede stehenden Abrechnungszeitraum näher darzulegen.

Stellt sich im nun fortzusetzenden Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg nach Gewährung rechtlichen Gehörs heraus, dass die allgemeinen Aufrechnungsvoraussetzungen vorliegen, der Arbeitgeberin ein aufrechenbarer Gegenanspruch aber nicht bereits deshalb zustand, weil es an der für einen Anspruch der Arbeitnehmerin auf Fortzahlung der Vergütung nach § 8 BzG BW erforderlichen Bewilligungsfiktion bzw. einer Vereinbarung der Parteien fehlt, nach der der Arbeitnehmerin vorbehalten bleibt, den Streit über die Qualität einer Bildungsveranstaltung und die Anspruchsberechtigung nachträglich gerichtlich auszutragen, wird das Landesarbeitsgericht zu beachten haben, dass die Klage hinsichtlich der Hauptforderung zumindest iHv. 477, 09 Euro netto begründet wäre. Die weiteren Voraussetzungen des Anspruchs auf Fortzahlung von Arbeitsentgelt gemäß § 8 Abs. 1 BzG BW bzw. einer darauf bezogenen Vereinbarung der Parteien sind erfüllt.

Die hier klagende technische Angestellte ist Arbeitnehmerin (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 BzG BW). Das Arbeitsverhältnis mit der Arbeitgeberin bestand seit dem Jahr 1978. Die Wartezeit des § 4 Satz 1 BzG BW von zwölf Monaten war damit bei Antragstellung im Dezember 2017 erfüllt. Der der Arbeitnehmerin für das Kalenderjahr 2018 gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 BzG BW im Umfang von fünf Arbeitstagen zustehende Anspruch auf Bildungszeit war noch nicht ausgeschöpft. Die Arbeitnehmerin hat ihren Anspruch auf Bildungszeit mit Antrag vom 19.12.2017 rechtzeitig, nämlich mindestens acht Wochen vor dem Beginn des Übungsleiter-Lehrgangs am 23.04.2018, schriftlich gegenüber der Arbeitgeberin geltend gemacht (§ 7 Abs. 1 BzG BW).

Der Württembergische Landessportbund eV ist eine anerkannte Bildungseinrichtung iSv. § 9 BzG BW. Die von ihm durchgeführte Veranstaltung „Grundlehrgang Lizenzausbildung Übungsleiter C ‚Sport mit Älteren‘“ erfüllt die gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 4 BzG BW an Bildungsmaßnahmen gestellten Anforderungen. Dies steht zwischen den Parteien nicht im Streit.

Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Bildungsmaßnahme auch die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Nr. 2 BzG BW erfüllt. Sie lässt sich einem Themenbereich des § 1 BzG BW zuordnen. Bei der von der Arbeitnehmerin besuchten Veranstaltung „Grundlehrgang Lizenzausbildung Übungsleiter C ‚Sport mit Älteren‘“ handelt es sich um eine iSv. § 1 Abs. 5 BzG BW der Qualifizierung zur Wahrnehmung ehrenamtlicher Tätigkeiten dienende Bildungsveranstaltung. Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin setzt der Anspruch auf Bewilligung von Bildungszeit für die Teilnahme an einer solchen Bildungsmaßnahme nicht voraus, dass der Anspruchsteller bereits eine einschlägige ehrenamtliche Tätigkeit ausübt. Es genügt die abstrakte Eignung der Bildungsmaßnahme, die Teilnehmer für die Ausübung eines aktiven Ehrenamts zu qualifizieren. Dies ergibt die Auslegung des § 1 Abs. 2 und 5 BzG BW iVm. § 1 VO BzG BW.

Für dieses Auslegungsergebnis spricht bereits der Gesetzeswortlaut.

Nach § 1 Abs. 5 BzG BW kann Bildungszeit ua. für die Qualifizierung zur Wahrnehmung ehrenamtlicher Tätigkeiten beansprucht werden. Der Begriff der „Qualifizierung“ bildet nach allgemeinem Sprachgebrauch den Oberbegriff für Maßnahmen zum Aufbau, Erhalt und Ausbau von Fähigkeiten und Fertigkeiten, die zur Bewältigung bestimmter (beruflicher) Anforderungen notwendig sind[14]. Dies entspricht der Definition in der Einzelbegründung zu § 1 VO BzG BW. Danach ist unter einer Qualifizierung das Erlernen oder die Verbesserung von Kompetenzen oder Wissen in der jeweiligen ehrenamtlichen Tätigkeit zu verstehen. Der Wortlaut der Vorschriften umfasst damit auch den erstmaligen Erwerb von Grundkenntnissen, die für die Aufnahme der ehrenamtlichen Tätigkeit notwendig sind. Dies impliziert, dass der Gesetzgeber Bildungszeit auch für Personen vorgesehen hat, die das Ehrenamt (noch) nicht ausüben (können), weil bei ihnen die dafür erforderliche Grundqualifikation (noch) nicht vorhanden ist und sie diese erst durch die Bildungsmaßnahme erlangen. Hätte der Gesetzgeber die Ausübung des Ehrenamts als Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Bildungszeit gesehen, hätte es nahegelegen, dies ausdrücklich zu regeln oder anstatt des allgemeinen Begriffs „Qualifizierung“ den spezielleren der „Weiterbildung“ zu benutzen. Auch die Verwendung der Präposition „zur“ (und nicht „im Rahmen der“ oder „bei der“) spricht dafür, dass die Qualifizierung der Schlüssel zur Wahrnehmung eines Ehrenamts sein und der erstmaligen Amtsübernahme vorausgehen kann.

Soweit die Begründung der VO BzG BW auf die „jeweilige“ ehrenamtliche Tätigkeit abstellt, bedeutet dies nicht, dass das Ehrenamt bereits aktiv ausgeübt werden muss. Die Verordnungsbegründung stellt lediglich klar, dass sich der Kompetenzerwerb bzw. die Wissensvermittlung auf eine ehrenamtliche Tätigkeit aus dem abschließenden Katalog des § 3 VO BzG BW beziehen muss. Mit der jeweiligen ehrenamtlichen Tätigkeit ist damit nicht – im Sinne einer konkreten Betrachtung – das bereits aktiv ausgeübte, sondern ein einschlägiges Ehrenamt gemeint, das sich – bei abstrakter Betrachtung – den Bereichen ehrenamtlicher Tätigkeiten zuordnen lässt, für die nach dem Gesetz Bildungszeit in Anspruch genommen werden kann.

Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin ändert auch die Regelung in § 2 Abs. 1 Satz 1 VO BzG BW, der zufolge ehrenamtliche Tätigkeiten iSd. Verordnung als in der Regel freiwillige, gemeinwohlorientierte Tätigkeiten definiert werden, die nicht hauptberuflich oder zur Einkommenserzielung „ausgeübt“ werden, nichts an dem Auslegungsergebnis. Die Legaldefinition konkretisiert den Anwendungsbereich der VO BzG BW und legt in diesem Zusammenhang die abstrakten Anforderungen an ein Ehrenamt fest. Die Negativumschreibung, dass ein Ehrenamt nicht hauptberuflich oder zur Einkommenserzielung ausgeübt werden darf, hat nicht den Bedeutungsgehalt eines anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmals, nach dem die ehrenamtliche Tätigkeit bereits bei Antragstellung ausgeübt werden muss. Es grenzt die ehrenamtliche Tätigkeit von der Erwerbstätigkeit ab. Entsprechendes gilt für § 2 Abs. 1 Satz 2 VO BzG BW, der die Stellen, an denen das ehrenamtliche Engagement eingebracht werden kann, bestimmt.

Die Gesetzessystematik bestätigt das Auslegungsergebnis. Die von der Arbeitgeberin geforderte aktive Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit als anspruchsbegründendes Tatbestandsmerkmal für Bildungszeit wegen einer Qualifizierung zur Wahrnehmung ehrenamtlicher Tätigkeiten führt zu einer Einengung des Kreises der Anspruchsberechtigen, dem die Bildungszeit zusteht. Dieser Kreis der Anspruchsberechtigten ist für alle Bereiche, in denen nach dem BzG BW Bildungsmaßnahmen angeboten werden können, in § 2 BzG BW geregelt. Für die in Abs. 1 dieser Vorschrift genannten Fälle der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der in Heimarbeit Beschäftigten sowie der Auszubildenden und Studierenden der Dualen Hochschule Baden-Württemberg ist ausdrücklich geregelt, dass deren Tätigkeitsstätte in Baden-Württemberg liegen muss. Durch die Anknüpfung an den Ort des Tätigkeitsschwerpunkts wird eine konkrete Zuordnung der Lebenssachverhalte ermöglicht. Wenn der Gesetzgeber in anderem Zusammenhang (hier: die tatsächliche oder nur beabsichtigte Wahrnehmung einer ehrenamtlichen Tätigkeit) auf eine solche Festlegung verzichtet, deutet dies darauf hin, dass er von einer weiteren Begrenzung des Kreises der anspruchsberechtigten Personen absehen wollte.

Das Auslegungsergebnis entspricht auch dem Sinn und Zweck der Bildungszeit für die Qualifizierung zur Wahrnehmung ehrenamtlicher Tätigkeiten. Diese dient gemäß § 1 Abs. 5 BzG BW der Stärkung des ehrenamtlichen Engagements. Bildungszeit soll die Bürger des Landes Baden-Württemberg bei der Wahrnehmung ehrenamtlicher Aufgaben unterstützen und ihre Bereitschaft zur Übernahme neuer ehrenamtlicher Aufgaben erhöhen[15]. Das Ziel, das ehrenamtliche Engagement durch Bildungszeit zu stärken, soll sich somit nicht auf die Qualifizierung bereits aktiv im Ehrenamt tätiger Personen beschränken, sondern zugleich den Zugang zu einer ehrenamtlichen Tätigkeit durch Bildung eröffnen und bestehende Barrieren für eine Wahrnehmung von dem Gemeinwohl dienenden Aufgaben abbauen. Soweit die Erleichterung des Zugangs zu Qualifizierungsmaßnahmen für ehrenamtlich tätige Menschen durch Bildungszeit nach der Einschätzung des Verordnungsgebers einen sinnvollen Beitrag darstellen soll, „um sie in ihrer Arbeit zu unterstützen und zu befähigen, diese Aufgaben noch besser zu erfüllen oder anderen den Zugang zum ehrenamtlichen Engagement zu erleichtern oder zu ermöglichen“[16], wird dadurch in Ergänzung des erstgenannten Begründungsansatzes lediglich bestätigt, dass durch die Bildungszeit sowohl bereits ehrenamtlich tätige Personen angesprochen werden als auch solche, die die Übernahme eines Ehrenamts beabsichtigen. Unabhängig davon lässt sich aber auch nicht völlig ausschließen, dass es sich bei dem letzten Halbsatz „oder anderen den Zugang zum ehrenamtlichen Engagement zu erleichtern oder zu ermöglichen“ um ein eigenständiges, auf eine Erstqualifizierung bezogenes Begründungselement handelt und vor dem Wort „oder“ lediglich ein Komma fehlt. Dann wären Bildungsmaßnahmen nach der Intention des Verordnungsgebers ausdrücklich auch als ein sinnvoller Beitrag zu verstehen, um anderen – dh. noch nicht im Ehrenamt tätigen Personen – den Zugang zum ehrenamtlichen Engagement zu erleichtern oder zu ermöglichen.

Die von der Arbeitnehmerin absolvierte Bildungsmaßnahme weist – insoweit zwischen den Parteien unstreitig – die abstrakte Eignung auf, künftig Aufgaben der Anleitung, der Organisation und der Lehre ua. in dem Ehrenamtsbereich Sport auszuüben. Die Absicht der Arbeitnehmerin, sich nach erfolgreich abgeschlossenem Lehrgang tatsächlich ehrenamtlich im Bereich des Sports zu engagieren, wird bereits dadurch greifbar, dass sie die Lehrgangskosten selbst zu tragen hat. Eine darüberhinausgehende Konkretisierung durch die Mitgliedschaft in einem Sportverein ist nicht erforderlich. Eine solche Mitgliedschaft gewährleistet nicht, nach Erwerb des Übungsleiterscheins ausgerechnet dort als Trainer tätig werden zu können.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12. Oktober 2021 – 9 AZR 133/21

  1. LAG Baden-Württemberg 12.11.2020 – 3 Sa 97/19[]
  2. vgl. LT-Drs. 15/6403 S. 16[]
  3. vgl. LT-Drs. 15/6403 S. 15[]
  4. AG 24.03.2021 – 10 AZR 16/20, Rn. 36 mwN[]
  5. BAG 24.03.2021 – 10 AZR 16/20, Rn. 37; 19.12.2018 – 7 AZR 70/17, Rn. 23 mwN, BAGE 164, 370[]
  6. st. Rspr., zB BAG 24.03.2021 – 10 AZR 16/20, Rn. 38; 19.11.2019 – 3 AZR 332/18, Rn. 18 f.[]
  7. BAG 18.11.2008 – 9 AZR 815/07, Rn. 27 mwN[]
  8. vgl. dazu im Einzelnen BAG 24.03.2021 – 10 AZR 16/20, Rn. 60 mwN[]
  9. dazu BAG 7.02.2019 – 6 AZR 84/18, Rn. 30; 23.08.2017 – 10 AZR 859/16, Rn.20, BAGE 160, 57[]
  10. vgl. BAG 7.03.2001 – GS 1/00, BAGE 97, 150[]
  11. BAG 19.02.2004 – 6 AZR 664/02, Rn. 28[]
  12. BAG 22.09.2015 – 9 AZR 143/14, Rn. 10 mwN[]
  13. BAG 22.09.2015 – 9 AZR 143/14, Rn. 11 mwN[]
  14. vgl. Duden Deutsches Universalwörterbuch 9. Aufl. Stichwörter „Qualifizierung“, „qualifizieren“[]
  15. A 1 der Begründung zur VO BzG BW[]
  16. A 4a der Begründung zur VO BzG BW[]