Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts kann die zuständige Behörde vor Erlass eines Vereinsverbots nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG von einer Anhörung der Betroffenen absehen, wenn Anhaltspunkte bestehen, dass sonst aufgrund des mit der Anhörung verbundenen „Ankündigungseffekts“ Beweismittel und Vermögenswerte beiseite geschafft und dem behördlichen Zugriff entzogen werden[1].
Die Ermessensentscheidung hierüber bedarf einer Abwägung aller dafür und dagegen sprechenden Gesichtspunkte sowie einer Begründung, die erkennen lässt, auf welchen Erwägungen das Absehen von der Anhörung beruht[2].
Die zuständige Behörde kann die Entscheidung über ein Absehen von der Anhörung vor dem Erlass des Verbots eines Vereins mitsamt seinen Teilorganisationen gegenüber den Adressaten nur einheitlich treffen, da das in einem Verwaltungsverfahren erlassene Verbot nach § 3 VereinsG den Gesamtverein erfasst. Hat die Behörde von einer Anhörung abgesehen, kann eine Teilorganisation im anschließenden gerichtlichen Verfahren nur geltend machen, ein Ankündigungseffekt wäre bei dem Gesamtverein nicht eingetreten. Die Berufung darauf, dass ein solcher Effekt nur bei ihr nicht hätte eintreten können, ist in diesem Fall ausgeschlossen. Diesen Einwand kann sie nur geltend machen, wenn sie als Teilorganisation nachträglich in ein bereits erlassenes Vereinsverbot aufgrund einer gesonderten Verfügung einbezogen wird[3].
Danach kann sich die Behröde darauf stützen, dass andernfalls der Erfolg einer Zerschlagung der Strukturen des Vereins und seiner Teilorganisationen aufgrund der klandestinen Organisationsstruktur gefährdet sowie Infrastruktur und Vermögen beiseitegeschafft worden wären. Eine solche Begründung genügt den rechtlichen Anforderungen. Die Behörde hat aufgrund der Fortführung der Tätigkeit des Gesamtvereins nach der ersten Durchsuchung (hier: zwei Jahre zuvor) davon ausgehen dürfen, dass der Verein und seine Teilorganisationen über neue Beweismittel, Barmittel bzw. weiteres Vermögen verfügen, die im Falle einer Anhörung einem Zugriff hätten entzogen werden können. Der Ankündigungseffekt ist auch nicht wegen der hier vorliegenden besonderen Umstände entfallen. Zwar war schon mit der ersten Durchsuchung aus Anlass der Einleitung des vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens eine gewisse Ankündigung des Inhalts verbunden, dass die Verbotsbehörde gegen den Gesamtverein vereinsrechtlich ermittelt und die Voraussetzungen für den Erlass einer Verbotsverfügung prüft. Auch gab es im Anschluss hieran gerichtliche Verfahren gegen die Durchsuchungsanordnungen. Da aber eine Anhörung dem Gesamtverein darüber hinaus bedeutet hätte, dass die zuständige Behörde die Voraussetzungen einer Verbotsverfügung als gegeben ansieht und deren Erlass nunmehr beabsichtigt, unterscheidet sich der mit ihr verbundene Ankündigungseffekt von demjenigen, der durch die erste Durchsuchungsmaßnahme hervorgerufen worden ist. Mithin hätte eine Anhörung auch zwei Jahre nach der ersten Durchsuchung Anlass geben können, vorhandenes Vermögen und Beweismittel beiseitezuschaffen, auch wenn weder der Verein noch eine seiner Teilorganisationen hiermit nach der ersten Durchsuchung begonnen haben sollten und dieses den Sicherheitsbehörden bekannt gewesen sein sollte.
Schließlich war das Absehen von der Anhörung auch nicht deshalb ermessensfehlerhaft, weil eine Anhörung den Verein in die Lage versetzt hätte, sich von nachrichtendienstlich bekannten Mitgliedern zu trennen und zu distanzieren. Denn dies entspricht nicht dem Zweck der Anhörung, dem Beteiligten vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in dessen Rechte eingreift, Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (§ 28 Abs. 1 VwVfG).
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21. August 2023 – 6 A 3.21
- stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.07.2018 – 1 BvR 1474/12 u. a., BVerfGE 149, 160 Rn. 161; BVerwG, Urteile vom 13.01.2016 – 1 A 2.15, Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 69; vom 26.01.2022 – 6 A 7.19, Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 77 Rn. 36; und vom 14.12.2022 – 6 A 6.21 – DVBl.2023, 598 Rn.20; Beschlüsse vom 25.08.2008 – 6 VR 2.08 8; und vom 21.09.2020 – 6 VR 1.20, Rn. 11 f.[↩]
- vgl. zuletzt BVerwG, Urteil vom 14.12.2022 – 6 A 6.21 – DVBl.2023, 598 Rn.20 m. w. N.[↩]
- vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 26.01.2022 – 6 A 7.19, Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 77[↩]

