Die "Geschäftsführerin" des Vereins – als arbeitnehmerähnliche Person

Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a und Buchst. b ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis und über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses. Wer Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes ist, bestimmt § 5 ArbGG.

Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG sind Arbeitnehmer Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Als Arbeitnehmer gelten auch die in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten sowie sonstige Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbstständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind (§ 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG). In Betrieben einer juristischen Person oder einer Personengesamtheit gelten jedoch nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG Personen nicht als Arbeitnehmer, die kraft Gesetzes, Satzung oder Gesellschaftsvertrags allein oder als Mitglieder des Vertretungsorgans zur Vertretung der juristischen Person oder der Personengesamtheit berufen sind.

Vorliegend ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen nicht bereits nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG ausgeschlossen. Der Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen steht nicht entgegen, dass die „Geschäftsführerin“ besondere Vertreterin des beklagten Vereins nach § 30 BGB gewesen ist. Das Sächsische Landesarbeitsgericht[1] hat rechtsfehlerfrei erkannt, dass es dahinstehen kann, ob für die „Geschäftsführerin“ aufgrund der ihr übertragenen Vertretungsmacht die Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG ausgelöst worden ist. Mit dem Erlöschen der Vollmacht endete die Fiktionswirkung.

Für einen Rechtsstreit zwischen dem Vertretungsorgan und der juristischen Person sind nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG die Gerichte für Arbeitssachen nicht zuständig. Dies gilt unabhängig davon, ob das der Organstellung zugrundeliegende Rechtsverhältnis materiell-rechtlich als freies Dienstverhältnis oder als Arbeitsverhältnis ausgestaltet ist. Die gesetzliche Fiktion soll sicherstellen, dass die Mitglieder der Vertretungsorgane mit der juristischen Person keinen Rechtsstreit im „Arbeitgeberlager“ vor dem Arbeitsgericht führen. Auch wenn ein Anstellungsverhältnis zwischen der juristischen Person und dem Mitglied des Vertretungsorgans wegen dessen starker interner Weisungsabhängigkeit als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist und deshalb materielles Arbeitsrecht zur Anwendung kommt, sind zur Entscheidung eines Rechtsstreits aus dieser Rechtsbeziehung die ordentlichen Gerichte berufen, solange die Fiktion Wirkung entfaltet[2].

Nach § 30 Satz 1 BGB kann in Vereinen durch Satzung bestimmt werden, dass neben dem Vorstand für gewisse Geschäfte besondere Vertreter zu bestellen sind. Die besonderen Vertreter sind wie der Vorstand satzungsmäßige Organe des Vereins. Sie gelten allerdings nur dann nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht als Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes, wenn die Satzung die Bestellung zweifelsfrei gestattet[3].

Nach Beendigung der Organstellung entfällt die Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG, und die Gerichte für Arbeitssachen sind berufen, über arbeitsrechtliche Streitgegenstände zu entscheiden. Entfällt die Fiktion nach Klageerhebung vor einem Arbeitsgericht, wird dadurch in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen begründet, wenn nicht zuvor ein rechtskräftiger Verweisungsbeschluss ergangen ist[4].

Vorliegend entfiel die Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG bereits vor Klageerhebung mit dem im Kündigungsschreiben erklärten Widerruf der der „Geschäftsführerin“ erteilten Vollmacht (§§ 168, 167 BGB).

Ein Kündigungsschutzantrag kann nur dann begründet sein, wenn das Rechtsverhältnis als Arbeitsverhältnis einzuordnen ist. In diesen Fällen (sic-non-Fälle) eröffnet bei streitiger Tatsachengrundlage die bloße Rechtsansicht der Klagepartei, es handele sich um ein Arbeitsverhältnis, den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten[5].

Die „Geschäftsführerin“ eines Vereins ist jedenfalls als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen.

Arbeitnehmerähnliche Personen sind Selbstständige, die nach § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG als Arbeitnehmer gelten. Sie unterscheiden sich von Arbeitnehmern durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit. Arbeitnehmerähnliche Personen sind – in der Regel wegen ihrer fehlenden oder gegenüber Arbeitnehmern geringeren Weisungsgebundenheit, oft auch wegen fehlender oder geringerer Eingliederung in eine betriebliche Organisation – in wesentlich geringerem Maße persönlich abhängig als Arbeitnehmer. An die Stelle der persönlichen Abhängigkeit tritt das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit bzw. wirtschaftlichen Unselbstständigkeit. Außerdem muss die wirtschaftlich abhängige Person ihrer gesamten sozialen Stellung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar sozial schutzbedürftig sein[6].

Bei dem Begriff der „arbeitnehmerähnlichen Person“ iSv. § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, bei dessen Anwendung dem Tatsachengericht ein Beurteilungsspielraum zukommt. Die Würdigung des Sächsischen Landesarbeitsgerichts, ob ein Selbstständiger eine arbeitnehmerähnliche Person ist, ist nur daraufhin überprüfbar, ob das Sächsische Landesarbeitsgericht den Rechtsbegriff der arbeitnehmerähnlichen Person selbst verkannt, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt, bei der Subsumtion den Rechtsbegriff wieder aufgegeben oder wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat[7].

Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stand. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend von den Rechtssätzen ausgegangen, die das Bundesarbeitsgericht aufgestellt hat, und hat diese im Hinblick auf den Vertragsstatus der „Geschäftsführerin“ rechtsfehlerfrei angewandt.

Dies gilt für die wirtschaftliche Abhängigkeit der „Geschäftsführerin“.

Wirtschaftliche Abhängigkeit ist regelmäßig gegeben, wenn der Beschäftigte auf die Verwertung seiner Arbeitskraft und die Einkünfte aus der Tätigkeit für den Vertragspartner zur Sicherung seiner Existenzgrundlage angewiesen ist[8]. Eine arbeitnehmerähnliche Person kann für mehrere Auftraggeber tätig sein, wenn die Beschäftigung für einen von ihnen überwiegt und die daraus fließende Vergütung die entscheidende Existenzgrundlage darstellt. Der wirtschaftlich Abhängige muss außerdem seiner gesamten sozialen Stellung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar schutzbedürftig sein[9].

Diese Voraussetzungen sind nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts erfüllt. Zu Recht weist das Landesarbeitsgericht darauf hin, dass die beim Beklagten mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden erzielten monatlichen Einkünfte iHv.03.800, 00 Euro brutto die Existenz der „Geschäftsführerin“ sicherten. Diese Vollzeittätigkeit indiziert bereits, dass sie daneben keiner anderweitigen Tätigkeit nachgehen konnte, um Einnahmen zu erzielen, die ihren Lebensunterhalt entscheidend sicherten. Tatsächlich ist sie auch keiner anderen (wesentlichen) Beschäftigung nachgegangen. Der mit der Beschwerde erhobene Einwand des Beklagten, die „Geschäftsführerin“ sei selbstständig unter der Firma „f.de“ tätig und habe dem Beklagten jeweils eine Rechnung in den Jahren 2021, 2022 und 2023 für Jugendweihevideoproduktionen erstellt, wäre – selbst wenn man ihn als Tatsachenvortrag im Rechtsbeschwerdeverfahren berücksichtigte – unerheblich. Die vom Beklagten eingereichten drei Rechnungen weisen Rechnungsbeträge zwischen 2.225, 00 Euro und 3.165, 00 Euro aus. Diese Nebeneinkünfte sichern die Existenzgrundlage der „Geschäftsführerin“ nicht maßgeblich. Konkrete Anhaltspunkte für die Richtigkeit seiner pauschalen, von der „Geschäftsführerin“ in Abrede gestellten Behauptung, bei den in Rechnung gestellten Beträgen handele es sich nicht um die einzigen Einnahmen der „Geschäftsführerin“ aus ihrer selbstständigen Tätigkeit, zeigt der Beklagte nicht auf. Der Umstand, dass die „Geschäftsführerin“ in den eingereichten Rechnungen keine Umsatzsteuer ausgewiesen hat, deutet vielmehr darauf hin, dass die „Geschäftsführerin“ ihre selbstständige Nebentätigkeit als sog. Kleinunternehmerin ausübt und ihr jährlicher Umsatz in den zurückliegenden Jahren zumindest nicht einen – nicht ihre Existenz sichernden – Betrag iHv. 22.000, 00 Euro überstiegen hat (vgl. § 19 UStG).

Auch die Beurteilung der sozialen Schutzbedürftigkeit der „Geschäftsführerin“ hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei vorgenommen.

Soziale Schutzbedürftigkeit ist anzunehmen, wenn unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalls und der Verkehrsanschauung das Maß der Abhängigkeit einen solchen Grad erreicht, wie er im Allgemeinen nur in einem Arbeitsverhältnis vorkommt, und die geleisteten Dienste nach ihrer sozialen Typik mit denen eines Arbeitnehmers vergleichbar sind[10].

Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei gewürdigt, dass die „Geschäftsführerin“ aufgrund der vertraglichen Weisungsgebundenheit in der sozialen Typik einer Arbeitnehmerin vergleichbar ist. Dem steht die ihr erteilte Vollmacht nicht entgegen.

Während der Geschäftsführer einer GmbH als gesetzlicher Vertreter der Gesellschaft (§ 35 Abs. 1 GmbHG) funktional Arbeitgeberfunktionen wahrnimmt und deshalb nicht als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen ist, trifft dies auf einen besonderen Vertreter nach § 30 Satz 1 BGB nicht von vornherein zu. Durch die gesetzlich und nach außen nicht beschränkten Vertretungsbefugnisse unterscheidet sich der Geschäftsführer einer GmbH grundlegend von anderen leitenden oder nichtleitenden Arbeitnehmern[11]. Die Funktion eines besonderen Vertreters nach § 30 Satz 1 BGB ist damit nicht vergleichbar. Dieser kann auch nur „für bestimmte Geschäfte“ bestellt werden. Dies ermöglicht es Vereinen, neben dem Vorstand als Organ in einer differenzierten Vertretungsorganisation einen rechtsgeschäftlichen Vertreter mit beschränkter Zuständigkeit als „Zwischenorgan“ zu bestellen[12]. Die Funktion des besonderen Vertreters nach § 30 Satz 1 BGB ist dabei auf die Zuweisung bestimmter Geschäftsbereiche ausgerichtet und nicht – wie beim GmbH-Geschäftsführer – per se auf die umfassende und arbeitgeberähnliche Stellung.

Das Landesarbeitsgericht hat im vorliegenden Fall zutreffend erkannt, dass die „Geschäftsführerin“ aufgrund der vertraglichen Weisungsgebundenheit und beschränkten Vollmacht nicht in einer Weise im Arbeitgeberlager zu verorten ist, die eine Arbeitnehmer-ähnlichkeit ausschließt. Die „Geschäftsführerin“ ist zwar zur gerichtlichen und außergerichtlichen Vertretung berufen. Die Vertretungsmacht ist jedoch stark begrenzt. Nach § 2 Abs. 1 des Geschäftsführervertrags ist die „Geschäftsführerin“ verpflichtet, ihre vertraglich geschuldete Vergütung „nach Maßgabe der Gesetze, der Satzung des S, der Geschäftsordnung, der Beschlüsse und Weisungen des Vorstandes des S sowie diesem Anstellungsvertrag“ zu erbringen. Von der Vollmacht sind nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts eine Vielzahl von Geschäften ausgenommen. Hierbei handelt es sich um den Erwerb, die Veräußerung und die Belastung von Grundstücken, Rechten an Grundstücken oder Rechte an einem Grundstücksrecht sowie die Verpflichtung zur Vornahme derartiger Verfügungen. Auch der Erwerb und die Veräußerung von Unternehmen sowie der Erwerb, die Änderung oder Kündigung von – auch stillen – Beteiligungen einschließlich des Erwerbs von Geschäftsanteilen sind von der Vollmacht ausgenommen, ebenso Anschaffungen und Investitionen einschließlich von Baumaßnahmen, wenn die Kosten der Eigenmittel 10.000, 00 Euro im Einzelfall übersteigen. Schließlich sind auch ihre Befugnisse in Personalangelegenheiten stark begrenzt. Ihre Vertretungsmacht umfasst lediglich die Einstellung, Abmahnung, Entlassung oder Höhergruppierung von Mitarbeitern ab einem Bruttolohn von 2.000, 00 Euro im Monat. Insgesamt ist die „Geschäftsführerin“ ihrer Funktion nach mit einer Angestellten in leitender Funktion vergleichbar, was sich im vorliegenden Fall nicht zuletzt in der Höhe der vereinbarten Vergütung von monatlich 3.800, 00 Euro brutto widerspiegelt.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 11. Juli 2024 – 9 AZB 9/24

  1. Sächs. LAG 12.03.2024 – 1 Ta 17/24[]
  2. BAG 8.09.2015 – 9 AZB 21/15, Rn. 14 mwN[]
  3. BAG 5.05.1997 – 5 AZB 35/96, zu II 1 b und c der Gründe[]
  4. vgl. BAG 3.12.2014 – 10 AZB 98/14, Rn. 21 ff.[]
  5. BAG 3.11.2020 – 9 AZB 47/20, Rn. 13; 9.04.2019 – 9 AZB 2/19, Rn. 12[]
  6. BAG 21.01.2019 – 9 AZB 23/18, Rn. 31 mwN, BAGE 165, 61[]
  7. BAG 21.01.2019 – 9 AZB 23/18, Rn. 32, BAGE 165, 61; 17.10.2017 – 9 AZR 792/16, Rn. 15; 27.06.2017 – 9 AZR 851/16, Rn.20 mwN[]
  8. BAG 21.12.2010 – 10 AZB 14/10, Rn. 8; 21.02.2007 – 5 AZB 52/06, Rn. 11 mwN, BAGE 121, 304[]
  9. BAG 21.12.2010 – 10 AZB 14/10 – aaO; 30.08.2000 – 5 AZB 12/00, zu II 2 b der Gründe[]
  10. st. Rspr., vgl. nur BAG 21.01.2019 – 9 AZB 23/18, Rn. 36 mwN, BAGE 165, 61[]
  11. BAG 8.02.2022 – 9 AZB 40/21, Rn. 24[]
  12. vgl. Grüneberg/Ellenberger BGB 83. Aufl. § 30 Rn. 1[]